IM QUELLPUNKT DER FARBEN
Gedanken zu Ralf Kopps Projektion "Ursprung"

Wie ernst meint er das wirklich? Man kann es keinem verdenken, dessen erste Reaktion auf Ralf Kopps Projektion "Ursprung" mit Skepsis durchschossen ist. So sehr lässt das von gemeinsamem Ausgangspunkt simultan in vier Richtungen vorstoßende Gesprudel farbiger Scheiben an einen poppigen Effekt visueller Raumaufpeppung, ja ans Prinzip Lavalampe denken. Etwas, so widerstandslos angenehm anzuschauen, dass es gut "nebenbei laufen" kann, während man sich auf den Chorgesang konzentriert. Schnell jedoch stellt man fest: zwischen den melodischen Modulationen und denen der Scheiben-Sukzession besteht ein direkter Zusammenhang. An- und abschwellende Töne werden begleitet von an- und abschwellendem Farbenfluss, so absolut zeitnah, dass man von selber kaum darauf käme, dass dieser von jenen in jeder Nuance gesteuert wird. Mit dem letzten Ton erlischt dann die letzte Scheibe. Kopps Arbeit, die so spielerisch daherkommt, gehorcht einem stringenten System.

Da sind die zwei sich rechtwinklig überschneidenden Bahnen, die Vertikale dabei länger als die Horizontale: ein römisches Kreuz. Vom Überschneidungspunkt nehmen die farbigen Scheiben, leuchtend vor dunklem Hintergrund, ihren Ausgang, wobei sich der Rot-Orange-Gelb-Teil des Spektrums auf der Horizontal-, der Grün-Blau-Violett-Teil auf der Vertikalbahn darstellt. (Ein Mikrophon hat die akustischen Signale an einen Rechner weitergegeben, der sie, ausdifferenziert nach Hoch und Tief, überträgt in die optische Manifestation. Der schon von vielen synästhetisch begabten Künstlern und Komponisten gehegte, hier mit Mitteln digitaler Elektronik verwirklichte Traum vom Farbklavier!) Ausdrücklich ist von Bahnen die Rede anstatt von Balken - die Erscheinung dieses Kreuzes ist ebenso temporär wie immateriell. Dafür wirkt es umso lebendiger. In mittelalterlicher Buchmalerei taucht gelegentlich das Motiv des Kruzifixus auf, dem das Kreuz, an das er geheftet ist, plötzlich frühlingshaft Blätter treibt. Das starre, tote Holz verwandelt sich ins uralte Symbol des Lebensbaums. Ähnlich durchpulst von Saft zeigen die sich ständig verfolgenden, überlagernden, neu mischenden Tropfen der Kopp'schen Farbprojektion das Kreuzgebilde.

Solch positiv-vitale Sicht fügt sich durchaus zum Umgang des Urhebers mit dem Kreuzmotiv, dem er bereits in einigen früheren Arbeiten seine Fixierung auf Schmerz und Marter genommen hat. In Bezug auf den Chor holt er es aus der Sphäre der Transzendenz ausdrücklich auf den Boden der Immanenz zurück: "Es ist die Gemeinschaft, die das Kreuz macht." Mehr noch: "Der Mensch ist nicht nur Kreatur, sondern auch Kreator." Dafür, dass die Kreuzung von Horizontal und Vertikal die Conditio humana veranschaulicht, den spezifischen Ort des Menschen im Schnittpunkt von irdischer und himmlischer Orientierung, hat die Symbolkunde reichlich Belege gesammelt - zurückreichend bis lange vors Christentum. Auch in Ralf Kopps Version hat es mit dem "Schnittpunkt" seine besondere Bewandtnis. Während die Kreuzbahnen, je nach dem, was der Chor gerade vorträgt, asymmetrisch flackern wie die Zufallskonstellationen des Verkehrs an einem Autobahnkreuz, immer wieder unterbrochen von ein paar Takten Stille/Verlöschen in Dunkelheit, gerät zunehmend das Zentrum auch ins Zentrum des Betrachterinteresses. Hier ist der Ursprung der Farbscheiben, mit "Quellpunkt" besser beschrieben als mit "Schnittpunkt", von hier nimmt alle Bewegung, alles Pulsen und Leuchten seinen Ausgang. Unwillkürlich erinnert man sich an Stellen im Neuen Testament, etwa Johannes 4,14, wo Christus von sich redet als von der "Quelle des Wassers, das in das ewige Leben quillt". Gewiss ist es die Gemeinschaft, die das Kreuz macht. Trotzdem lässt sich die "Ursprung I", zumal im kirchlichen Raum gezeigt, nicht einfach säkularisieren: Es bleibt der Zweck, zu dem besagte Gemeinschaft zusammenkommt, der die Münder und Quellen überhaupt erst öffnet.

Dr. Roland Held, Darmstadt 2012

Ralf Kopp, Darmstadt
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